Ausgangslage/Problemstellung
Um in wissensbasierten Gesellschaften langfristiges Wirtschaftswachstum sicher zu stellen, sind Innovationen unabdingbar. So werden in Volkswirtschaften wie Deutschland mittlerweile 70 Prozent des wirtschaftlichen Wachstums dem technologischen Fortschritt zugeschrieben. Wissensintensive Unternehmensgründungen gelten somit als eine zentrale Triebfeder für den wirtschaftlichen Strukturwandel und als wichtige Quelle für Wachstum und Beschäftigung. In diesem Zusammenhang haben der Wissenstransfer aus Hochschulen und die Suche nach Kommerzialisierungsmöglichkeiten für Ergebnisse aus der Hochschulforschung an Bedeutung gewonnen. Zeitgleich lässt sich ein Wandel der institutionellen Rahmenbedingungen im Hochschulbereich beobachten; ein Schwerpunkt ist eine verstärkte Förderung des Forschungs- und Wissenstransfers.
Inwieweit diese Entwicklungen auch Ausgründungen befördern und darüber zum Wissenstransfer beitragen können, soll am Beispiel der Gründungsneigung von Wissenschaftlern an Hochschulen untersucht werden. Systematische Befunde zu den Verhaltensweisen der Wissenschaftler, z.B. als Reaktion auf Veränderungen im institutionellen Umfeld, liegen bislang kaum vor. Die ZEW-Spin-off Studien legen den Schwerpunkt auf bereits erfolgte Ausgründungen (vgl. Egeln et al. 2002). Jüngste Befunde zur Gründungsneigung von Wissenschaftlern, ohne explizite Betrachtung des Einflusses institutioneller Rahmenbedingungen, basieren auf einer Befragung von wissenschaftlichen Mitarbeitern an 28 der insgesamt 418 Hochschulen in Deutschland im Jahre 2006 (vgl. Josten et al. 2008). Eine weitere Studie, welche den Einfluss solcher Rahmenbedingungen auf die Gründungsneigung am Rande behandelt, fokussiert ausschließlich auf Biowissenschaftler (vgl. Kurz/Wolf 2009).
Forschungsziel/Vorgehensweise
An dieser Forschungslücke setzt das vorgeschlagene Untersuchungsvorhaben an. Es betrachtet die Rolle und Funktionsmechanismen institutioneller Vorgaben aus der Perspektive der Wissenschaftler und rückt die individuellen Anpassungsreaktionen in den Vordergrund. Hinsichtlich der theoretischen Modellierung solcher Anpassungsreaktionen sollen vor allem Modelle der ökonomischen Anreiztheorie herangezogen werden. Dabei ist zu klären, ob Wissenschaftler die institutionellen Rahmenbedingungen und deren Veränderungen eher positiv (z.B. als Erweiterung ihrer Forschungsmöglichkeiten) oder negativ (z.B. als Zwang) bewerten und wie sich diese Bewertung schließlich auf das Gründungsverhalten auswirkt. Zudem sind mögliche Effekte der Berufsbiographie der Wissenschaftler (z.B. Fachrichtung, Industrieerfahrungen oder eine rein akademische Laufbahn) zu berücksichtigen.
Konkret soll untersucht werden, wie sich spezifische individuelle Arbeitsbedingungen an den Hochschulen (z.B. Arbeitsklima, institutionelle Ausstattung der Fachbereiche, Arbeitsverträge, Einkommen, mögliche Anreizsysteme der Hochschulen zur Förderung von Ausgründungen bzw. des Wissenstransfers (z.B. individuelle Zielvereinbarungen, Einkommensanteile von Lizenzierungen und Patentanteile, nicht vertraglich geregelte Anreizsysteme), eine hochschulinterne Infrastruktur zur Gründungsunterstützung (z.B. Gründungslehre, Technologietransferstellen, Patentverwertungsagenturen) und interaktive – regionale und überregionale – Netzwerke des Wissenstransfers auf die Gründungsneigung von Wissenschaftlern auswirken. Die Antworten auf diese Fragen werden zugleich Hinweise auf mögliche Gründungshemmnisse liefern.
Diese Fragestellungen sollen auf Basis qualitativer und quantitativer Analysemethoden untersucht werden. Qualitativ wird zunächst ein Raster für die Auswahl von Hochschulen erarbeitet. Dieses basiert auf vorhandenen Studien zu institutionellen Rahmenbedingungen an Hochschulen (v.a. die Evaluationsstudien von EXIST, z.B. Hemer et al. 2010, sowie die jüngst für die Expertenkommission Innovation und Forschung erstellte Expertise zur Situation der Forschung an deutschen Hochschulen, vgl. EFI 2012). Im zweiten Schritt ist eine Online-Befragung von Wissenschaftlern an ausgewählten Universitäten und Fachhochschulen geplant, wobei nach Möglichkeit sowohl die MINT-Fächer als auch sozial- und geisteswissenschaftliche Fächer einbezogen werden.