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Gründungsforschung | 2007 Die Opportunitätskosten der sozialen Absicherung für Selbstständige in Deutschland

Abgeschlossenes Forschungsprojekt

Zusammenfassung

Das IfM Bonn hat anhand von umfangreichen Simulationsrechnungen die Kosten der sozialen Absicherung geschätzt, die sich hierzulande aus dem Wechsel eines abhängig Beschäftigten in die berufliche Selbstständigkeit ergeben. Dabei wurde die individuelle Perspektive des abhängig Beschäftigten gewählt und das Jahresbruttoeinkommen als Basis für die Simulationsrechnungen verwendet. Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung fanden keine Berücksichtigung. Die Schätzungen umfassen verschiedene Einkommensstufen und Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in den Merkmalen Geschlecht, Alter und Familienstand unterscheiden. Unter Opportunitätskosten werden dabei solche Kosten verstanden, für die ein potenzieller Selbstständiger zusätzlich aufkommen muss, wenn er das gleiche Niveau an sozialer Absicherung erhalten möchte wie in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Die Analysen zeigen, dass in der weit überwiegenden Zahl der untersuchten Fälle die Entscheidung für die Selbstständigkeit mit Opportunitätskosten einhergeht. Für ältere Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und solche mit einem geringen Einkommen ist die soziale Absicherung in der Selbstständigkeit in der Regel mit finanziellen Nachteilen verbunden. Jüngere Männer und einkommensstarke Singles können sich grundsätzlich kostengünstiger in der Selbstständigkeit absichern.

Hohes Maß an Eigenverantwortung für Selbstständige

Die soziale Absicherung in Deutschland zielt im Kern auf die Absicherung von Risiken, die aus Arbeitslosigkeit, Alter, Krankheit, Unfällen oder Pflegebedürftigkeit resultieren. Für abhängig Beschäftigte besteht mit wenigen Ausnahmen die gesetzliche Pflicht, sich gegen diese Risiken in der gesetzlichen Sozialversicherung mit ihren fünf Säulen Arbeitslosen-, Renten-, Kranken-, Unfall- und Pflegeversicherung abzusichern. Anders stellt sich die Lage für selbstständig Erwerbstätige dar. Für diese Personengruppe geht der Gesetzgeber von einem hohen Maß an Eigenverantwortung aus. Selbstständigen ist es weitgehend frei gestellt, ob und in welcher Weise sie sich gegen die genannten Risiken versichern.

Jüngere profitieren, Ältere und Familien sind im Nachteil

Für potenzielle Selbstständige, unabhängig von Alter, Familienstand, Einkommen und Geschlecht, ist die private Altersvorsorge finanziell immer günstiger als die gesetzliche Versicherungsalternative - so ein zentrales Ergebnis der Studie. Eine private Krankenversicherung wählen dagegen Selbstständige umso eher, je jünger sie zum Zeitpunkt der Existenzgründung sind. Die Prämien einer privaten Krankenversicherung sind für jüngere Menschen deutlich niedriger als die der gesetzlichen Krankenversicherung. Da sowohl Kinder als auch erwerbslose Ehepartner in der gesetzlichen Krankenversicherung kostenfrei mitversichert sind, bietet diese für Alleinverdiener mit Familie finanzielle Vorteile. Diese erhöhen sich, je mehr Kinder vorhanden sind. Mit einer privaten Krankenversicherung stellen sich vor allem Singles und Doppelverdiener ohne Kinder besser.

Beispiel: Ein 25-jähriger alleinlebender Mann profitiert hinsichtlich seiner sozialen Absicherung generell von einem Wechsel in die Selbstständigkeit. Er zahlt, so die Ergebnisse der Simulationsrechnungen, über alle Einkommensklassen hinweg im Schnitt 6,3 % weniger (gemessen am Bruttoeinkommen aus seiner vorherigen abhängigen Beschäftigung) für die gleiche Absicherungsleistung. Einem 55-Jährigen hingegen entstehen Opportunitätskosten in Höhe von 10,7%. Ein Ehepaar mit einem Alleinverdiener im Alter von 35 Jahren und zwei Kindern muss im Schnitt zusätzliche 7,0% tragen, ein 55-jähriges Paar beachtliche 13,9%.

Frauen stellen sich schlechter als Männer

Die Prämienhöhe der Krankenversicherung hängt auch vom Geschlecht ab, da die Versicherungsprämien in der privaten Krankenversicherung für Frauen deutlich höher sind als für gleichaltrige Männer.

Beispiel: Ein 35-jähriger alleinlebender Mann stellt sich aus der Absicherungsperspektive heraus beim Wechsel in die Selbständigkeit etwas besser als eine gleichaltrige Frau. Ihm entstehen Kosten in Höhe von 0,2%, ihr in Höhe von 2,1% gemessen am Bruttoeinkommen der vorherigen abhängigen Beschäftigung. Für Männer lohnt sich vor diesem Hintergrund noch in einem höheren Lebensalter der Wechsel in die Selbstständigkeit.

Fiktives Mindesteinkommen benachteiligt Geringverdiener - auch nach der Gesetzesnovellierung

Zum 1. April 2007 ist das so genannte fiktive gesetzliche Mindesteinkommen in der gesetzlichen Krankenversicherung von monatlich 1.837,50 auf 1.225 Euro abgesenkt worden. Während der gesetzliche Krankenversicherungsbeitrag der abhängig Beschäftigten grundsätzlich aus dem tatsächlichen Einkommen errechnet wird, ist der Beitrag Selbstständiger unterhalb des Mindesteinkommens pauschal festgelegt und erst oberhalb einkommensabhängig. Insbesondere bei niedrigen Einkommen liegen die Opportunitätskosten daher auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau. Die Gesetzesnovellierung führt nach unseren Berechnungen bis zu einem Bruttojahresgehalt von 15.000 Euro zur Verringerung der anteiligen Opportunitätskosten von durchschnittlich 11,9 Prozentpunkten. Diese Einkommensgruppen haben aber nach wie vor überdurchschnittlich hohe Opportunitätskosten zu tragen, ihre Benachteiligung fällt nach der Gesetzesänderung lediglich geringer aus.